Jugend forscht - oder dabeisein ist alles
Die Schule, auf die man kommt ist Schicksal, die Lehrer, die man bekommt, nicht weniger. Das Schicksal (Fortuna) meinte es gut mit uns, denn die Schule läßt wenig zu wünschen übrig. Und dann gibt es noch Lehrer, die neben dem normalen Alltagstrott auch noch für andere Dinge Zeit haben, zum Beispiel für die Schüler.
Herr Dr. Ermeling ist ein Musterbeispiel eines solchen Lehrers. Er ist ständig von Schülern umlagert und alle organisatorischen Fäden unserer Schule laufen praktisch bei ihm zusammen. Er gibt Erdkunde, Biologie und vor allem Chemie.
Sein Hobby ist, daß er regelmäßig jedes Jahr gute Schüler seiner Klasse aussucht und sie forschen läßt. Beim Regionalwettbewerb "Schüler experimentieren" ist unsere Schule jedesmal würdig vertreten.
Dieses Jahr waren nun wir dran, Ulrich und ich. Das Ganze kam mehr wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Gegen Ende irgendeiner Stunde fragte Dr. Ermeling Ulrich so nebenbei, ob er nicht Lust hätte, bei "Jugend forscht" mitzumachen. Glücklicherweise war ich noch in der Klasse und konnte mich gleich als Mitarbeiter bewerben, da eine Gruppenarbeit wesentlich produktiver ist.
So sind wir also in die ganze Sache hereingeschlittert. Damals hatten wir keinen blassen Schimmer, was noch alles auf uns zukommen sollte.
Wir brauchten zum Forschen natürlich noch ein Thema. Aber Herr Dr. hatte schon zwei parat. Einmal die Haltbarkeit verschiedener Vitamine unter bestimmten Bedingungen und zum anderen die Untersuchung von Urease, einem Ferment, das Harnstoff spaltet. Beiden Themen gemeinsam war, daß ein Photomeier benutzt werden sollte, ein recht kostbares und empfindliches Gerät, auf das der Doktor natürlich sehr stolz war.
Wer die Wahl hat, hat bekanntlich auch die Qual. Beide Themen waren gleichermaßen mies. Als wir aber die Schwierigkeiten sahen, die in dem Vitaminthema lagen, Beschaffung von Früchten, Lagerung, geeignete Indikatoren u.s.w., entschieden wir uns für das kleinere Übel, die Urease. Damals wußten wir noch nicht, welches Glück wir mit dieser Entscheidung hatten. Es erschien uns nur unter unserer Würde, ständig Kartoffeln einzukellern, zu lagern, zu schälen, zu kochen und zu untersuchen. Das erinnerte zu sehr an Hausfrauenarbeit, dagegen war die Untersuchung eines Fermentes eines richtigen Chemikers würdig und sie bot auch hinreichende Abwechslung.
Am Anfang waren wir natürlich mit Eifer bei der Sache. Zunächst einmal ging es darum, die Literatur durchzustudieren. Glücklicherweise gab es zu unserem Thema nicht allzuviel Literatur und so konnten wir die winzigen Passagen in Dr. Ermelings dicken Büchern abschreiben und dem Mitarbeiter eine Kopie zukommen lassen. Das war unsere erste Arbeit und sie war zum größten Teil überflüssig. Nun mußten wir uns noch mit dem Photometer vertraut machen, was gar nicht so einfach war, insbesondere deshalb, weil Wasser das Licht der eingebauten Lampe brach. Nach einigem Hin und Her waren wir allerdings mit dem Gerät einigermaßen vertraut und die Forschungsarbeit konnte beginnen.
Der große Nachteil dabei war nur, daß wir viele Geräte und Chemikalien gebrauchten, so daß wir praktisch nur in der Schule forschen konnten. Das war wegen zahlreicher Nachmittagsunterrichtsstunden nur Dienstags möglich. Die Forschung ging trotz der begrenzten Zeit ganz gut voran. Ab und zu bekamen wir im Chemieraum Gesellschaft von Kollegen, die das Wasser eines nahe gelegenen Baches erforschten, dazu teure Filter brauchten, dann aber doch zu keinen vernünftigen Ergebnissen kamen. Ganz im Gegenteil. Sie brachten uns sogar manchmal von unserer seriösen Forschungsarbeit ab und wir gingen zum "gemütlichen Teil" über.
Das ging sogar soweit, daß wir uns eine Bogenlampe aus zwei Kohleelektroden bauten, worüber der Doktor nachher entsprechend ungehalten war. Ansonsten ereignete sich nicht mehr sehr viel, außer daß die beiden anderen während ihrer Forschung den Rasen mit Nitroglycerin verbrannten.
Ganz allmählich verlor sich dann auch die erste Begeisterung, besonders, als sich zeigte, daß die Urease nicht immer so wollte wie wir. Meine Eltern waren dann auch sehr skeptisch und glaubten, daß aus der ganzen Forscherei doch nie was würde. Ich selbst war ganz ähnlicher Meinung, hütete mich aber, sie auszusprechen.
Einen neuen Aufschwung erlebte die Forschung, als Dr. Ermeling uns mit unseren Vorgängern bekanntmachte. Besonders Hans Lepper sollte uns doch etwas bei der Forschung beraten, weil er schon Erfahrung mit der Chromatographie hatte. Unsere Vorgänger waren ausgesprochen nett, aber leider auch sehr erfolgreich gewesen. 1972 hatten sie nicht nur den Wettbewerb "Schüler experimentieren" in Bochum gewonnen, sondern waren auch weitergekommen in den Landeswettbewerb von "Jugend forscht" in Leverkusen. Das stachelte uns wieder etwas an, denn wir wollten natürlich beweisen, daß wir auch mindestens so gut waren.
Richtig gearbeitet haben wir eigentlich erst in den Herbstferien. Jeden Morgen waren wir pünktlich um acht Uhr an der Schule und konnten dort bis halb 12 arbeiten. Auch Hans war jeden Morgen da und stand uns mit Rat und Tat zur Seite, genauer gesagt, er machte die ganzen Chromatogramme und wir sahen zu. In der Zeit, wo sie liefen, arbeiteten wir an unseren normalen Versuchsreihen, und er schaute zu. So hatten wir alle etwas davon und auch die Forschung machte große Fortschritte.
Wie gesagt, die Literatur, die uns zur Verfügung stand, war recht spärlich. Also arrangierte es der Doktor so, daß ein junger Assessor uns an einem Freitag mit nach Dortmund nahm, wo wir in der Universitätsbibliothek nach Herzenslust stöbern konnten. Wir hatten eine umfangreiche Liste von Büchern mitgebracht, die wir aus Literaturhinweisen entnommen hatten. Leider fand sich in dem Gesamtregister nur ein Bruchteil dieser Liste, nämlich nur vier Bücher. Wir begaben uns also auf die Suche nach den Büchern. Ein Verwalter dort schaute uns sehr mißtrauisch an, wahrscheinlich sah er uns an, daß wir keine Chemiestudenten im 1. Semester, sondern gewöhnliche Schüler der 11. Klasse waren. So sehr wir auch suchten, alle vier vorhandenen Bücher waren nicht vorhanden, das heißt, sie waren ausgeliehen. Enttäuscht begaben wir uns auf den Rückweg, wobei es zu allem Überfluß auch noch regnete. Aber immerhin hatten wir einmal eine moderne Universitätsbibliothek von innen gesehen, und das war auch schon ein Erlebnis.
Schließlich mußten wir uns auch noch anmelden für den Wettbewerb. In dem Taschenbuch "Jugend forscht 73" war eine Anmeldekarte. Sie wurde dann auch noch pünktlich zum Einsendeschluß abgeschickt und enthielt auch unser Thema. Außerdem mußte einer aus unserer Gruppe der "Gruppensprecher" sein. Ich wählte Ulrich im wahrsten Sinne des Wortes einstimmig; er wählte zwar mich, aber ich hatte keine Lust, der Jury unsere bescheidenen Versuchsergebnisse vorzutragen. Ein letzter Anlauf zur Beendigung oder Vollendung unserer Arbeit wurde in den Weihnachtsferien unternommen. Ebenso wie in den Herbstferien waren wir jeden Morgen um 8 Uhr da und brachten unsere Forschung tatsächlich zu einem Ende. Einmal mußten wir dabei sogar als Wetterfrösche fungieren, aber das war eine Episode besonderer Art.
Es war also kurz nach Weihnachten. Eines Abends rief Herr Dr. Ermeling bei uns an. Er erzählte, daß der Jahresbericht von der Wetterstation unserer Schule wieder einmal fällig sei, und daß der Reporter der WAZ gern ein paar Schüler auf seinem Foto haben wollte. Da wir ja morgens in den Ferien da waren, sollten wir doch einmal als Kulisse dienen. Das war natürlich ein historischer Augenblick, denn in der Zeitung hatte ich noch nicht gestanden, höchstens versteckt in der Masse bei einer Massenveranstaltung in unserer Aula. Natürlich wusch ich mir sofort die Haare und war gespannt darauf, ob ich tatsächlich auf ein Foto kommen sollte.
Am nächsten Morgen erzählte ich Ulrich, was auf uns zukommen sollte, und er war mir einigermaßen böse, weil ich ihm das nicht rechtzeitig telephonisch mitgeteilt hatte und er relativ unfrisiert zur Schule gekommen war. An diesem Morgen waren wir viel zu aufgeregt, um arbeiten zu können und suchten öfter die Toilette auf, um unsere Frisuren zu vervollkommnen. Schließlich war es soweit. Herr Dr. Ermeling kam und meinte, wir sollten doch allmählich auf den Innenhof kommen und uns dem Fotografen stellen. Er hatte außerdem noch einen Schüler aus seiner Nachbarschaft mitgebracht, und da war noch ein Lehrer unserer Schule, Herr Wölke, bei dem wir nie Unterricht gehabt hatten. Der Pressefotograf machte dann vier Aufnahmen von uns und der Wetterstation und damit hatte sich die Sache. Er schrieb sich noch die Namen auf, wobei ich meinen natürlich mal wieder buchstabieren mußte, weil alle Leute ihn falsch verstehen. Außerdem fragte er noch, ob wir die Wetterstation regelmäßig auswerteten. Der Doktor erklärte uns, daß das immer der Hausmeister macht, und daß wir nur zufällig daseien, weil wir uns an "Jugend forscht" beteiligten. Der Reporter fragte, ob er auch darüber etwas schreiben sollte, aber Dr. Ermeling hatte etwas gegen Vorschußlorbeeren.
Am nächsten Morgen stand ich sehr früh auf und besorgte mir noch vor unserer Forschungsarbeit eine Zeitung. Und tatsächlich - wir waren drin! Auf einem großen Foto im Heimatteil sah man zunächst einmal groß im Vordergrund die Kurve des Thermographen, gehalten von Herrn Wölke. Und im Hintergrund waren wir, ohne Zweifel. Auf der Bildunterschrift war zu lesen:
Gestern in Buer: Punkt 11 Uhr herrschte bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von 95 Prozent eine Temperatur von 4 Grad Celsius. Datenauswerter waren auf dem Hof des Max-Planck-Gymnasiums diesmal (v.l.): Winfried Posur, Ulrich Schlegel, Karl-Heinz Hepping und Lehrer Wölke. Wie präzise die Schule arbeitet, zeigen die beiden Instrumente links: Weil das obere Barometer schreibt, muß es vom unteren Instrument überprüft werden. Denn durch das Schreiben entstehen Reibungsverluste.
Na bitte! Wir haben zwar keine Daten ausgewertet, aber was spielt das für eine Rolle. Hauptsache, es steht in der Zeitung. Der weitere Artikel wies dann noch zwei Fehler auf. Bei 25 Grad gibt es Hitzeferien, schrieb der Reporter und machte damit allen Schülern eine große Freude. Außerdem schrieb er, daß die Instrumente in einem Sandkasten (statt Schaukasten) untergebracht seien, den die Eltern gestiftet haben. Na, die Eltern werden sich gefreut haben, daß sie ihren Kindern einen Sandkasten geschenkt haben. Laut Zeitung wird die Wetterstation immer von Schülern umlagert, dabei gibt es bei uns ein paar übereifrige Lehrer, die ihre Schützlinge aus dem Hinterhof hinauswerfen.
In den Weihnachtsferien trafen wir auch zwei andere Schüler einer höheren Klasse, die bei "Jugend forscht" mitmachen wollten und mit einer Kröte und einem Oszillographen experimentierten. Insgesamt lief ihre Forschung darauf hinaus, zu beweisen, daß Kröten Farben unterscheiden können. Nach dem technischen Aufwand zu urteilen, müßten sie eigentlich ganz gut abschneiden.
Ganz allmählich näherte sich der Termin, zu dem unsere Arbeit fertiggestellt werden mußte. Gemeinsam gingen wir daran, einen schriftlichen Bericht abzufassen. Als wir uns aber über die Formulierungen nicht einig werden konnten, beschlossen wir, daß jeder für sich einen Bericht verfassen sollte und wir daraus hinterher einen machen sollten. Ulrich war natürlich zu faul, und als es schließlich allerhöchste Zeit wurde, hatte nur ich den Bericht fertiggestellt und Ulrich brauchte ihn nur hier und da zu verbessern. Dann mußten alle 11 Seiten noch einmal mit Durchschlag abgeschrieben werden. Das war eine Heidenarbeit, die ich in zwei Tagen erledigen mußte. Außerdem brauchten wir auch noch Paßfotos, die wir uns bei KARSTADT machen ließen. Allerdings waren wir nicht sehr zufrieden mit unseren Gesichtern. Die Fotos sahen nämlich eher so aus, als gehörten sie ins Verbrecheralbum.
Nach drei sehr arbeitsreichen Tagen konnten wir schließlich unseren 11 -seitigen Bericht samt Formularen und Paßfotos noch gerade rechtzeitig per Einschreiben nach Bochum schicken.
Jetzt ging es darum, unseren Stand auszubauen. Natürlich gehörte dorthin eine große Überschrift und die Graphen, die wir aus unseren Forschungen gewonnen hatten. Das fertigte Ulrich an. Ich kümmerte mich um die Ausstellung der Chromatogramme und fertigte eine Skizze des Photometeraufbaus an. Ulrich bastelte auch noch ein entzückendes kleines Kästchen für unseren selbstgebauten Rührer mit eingebauter Heizung. Wir nannten dieses Kästchen "black box", weil es so schön schwarz war.
Am Mittwoch schließlich, dem Vorabend des Wettbewerbs, verstauten wir alle Geräte, die wir brauchten in einer riesigen Kiste. Damit Dr. Ermeling uns dabei helfen konnte, mußte das in der 6. Stunde geschehen. Eigentlich hatte ich ja Unterricht, aber der Religionslehrer hatte Verständnis für unsere Lage. Als wir schließlich alles zusammengepackt hatten, war die Schule fast ausgeräumt. Die Sachen packten wir auf einen fahrbaren Tisch und stellten sie für die Nacht beim Hausmeister unter.
Am Donnerstag, dem 8. März, war es endlich soweit. Vor lauter Aufregung hatte ich kaum schlafen können. An der Schule traf ich Ulrich und seine Mutter, und wir packten unsere Utensilien in den VW. Dann fuhren wir bei Dr. Ermeling vorbei, der uns den weiteren Weg bis zum Bochumer Opelwerk beschrieb. Ulrich führte uns noch einmal seinen umfangreichen Vortrag vor, und wir verbesserten noch ein paar Kleinigkeiten. Dr. Ermeling gehörte auch zur Jury des Wettbewerbs, und er erzählte uns, daß die Konkurrenz diesmal recht groß sei. Am Opelwerk angekommen mußten wir vor einer Schranke halten und wurden mit einem Werksauto bis zum Eingang gefahren. Wir mußten dann noch zweimal gehen, bevor wir alle Sachen in dem Aufzug verstaut hatten. Der Aufzug fuhr dann auch gleich nach unten, weil dort jemand auf den Knopf gedrückt hatte. Wir mußten aber nach oben. Das klappte dann beim zweiten Anlauf auch.
Als wir dann den Ausstellungsraum betraten, wurde uns erst der ganze Ernst der Lage bewußt. Überall waren Jungen und Mädchen in unserem Alter damit beschäftigt, ihre Stände aufzubauen. Wir hatten zunächst allerdings keine Zeit, uns darum zu kümmern, denn wir mußten zunächst unseren eigenen Stand aufbauen.
Wir bekamen einen Stand rechts an der Fensterseite. Oben links hatte schon jemand ein Schild angebracht, auf dem zu lesen war:
Chemie, Winfried Pasur, Ullrich Schlegel. Sofort kam ein aufmerksamer Beobachter von Opel und sagte: "Entschuldige bitte, daß wir deinen Namen so verunstaltet haben!", worauf er geschickt mit einem Messer das "a" ausradierte und ein "o" an die Stelle setzte. Daß Ulrich mit zwei "1" geschrieben war, störte niemanden.
Wir packten unsere Zeichnungen aus und wollten sie an dem Stand mit Heftzwecken befestigen. Der Stand jedoch hatte etwas dagegen und sträubte sich. "Stahlbeton!" stellte Ulrich sachlich fest. Mit viel Mühe gelang es uns schließlich doch, die Papiere anzuheften. Danach sahen unsere Daumen auch sehr abgenutzt aus. Links hatten wir in riesigen Buchstaben unser Thema aufgemalt, in der Mitte hingen die Graphen und Statistiken, rechts schließlich das Chromatogramm, inzwischen verblaßt und darunter ein Foto vom Chromatogramm, als es noch neu und schön war.
Jetzt brauchten wir nur noch unsere Geräte auf dem viel zu kleinen Tisch unterzubringen. Dabei ging uns leider ein Becherglas kaputt und die Heizung funktionierte nicht, aber wir trösteten uns damit, daß wir kaum noch größeres Pech haben konnten und das Glück ja schließlich bei den Doofen ist. Als Herr Dr. Ermeling von unserem Unglück erfuhr, sorgte er sofort für die Beschaffung eines neuen Glases. Ein "Opelmann" lief auch sofort ins Labor und kam mit drei Bechergläsern zurück, nur leider waren sie viel zu klein.
Als der Mann hörte, daß er noch einmal laufen sollte, sah er so traurig aus, daß ich ihn unbedingt trösten mußte.
"Ich glaube, wir kommen auch ohne Glas aus." sagte ich und erfreute mich an seinem dankbaren Lächeln. Wir nahmen also einen sehr kleinen Zylinder, den wir mitgenommen hatten. Das war natürlich nur ein Notbehelf.
Nun hatten wir endlich Zeit, uns die anderen Ausstellungsstände anzusehen. Gleich neben uns waren zwei Chemiker, die an einem sehr interessanten Thema über die Auswirkungen von Benzolderivaten auf die Aktivität von Hefezellen arbeiteten. Auch in unserer Reihe hatte ein junger, stiller Junge seinen Stand, der seine Aquariumsfische beobachtet hatte und untersucht hatte, ob sie sich auf ein Signal zur Fütterung dressieren ließen. Er hatte dann auch eine poppig aussehende Kurve, auf der abzulesen war, wie viele Fische welcher Sorte auf ein Signal angesprochen hatten. Ich schlug ihm vor, das nächste Mal von jeder Art gleich viele Exemplare zu nehmen, um einen besseren Vergleich zu haben. An der Ecke hatten auch noch zwei weitere Chemiker ihren Platz, die Eigenschaften wäßriger Lösungen untersuchten.
In der nächsten Reihe hatte eine Dreiergruppe von Chemikern einen Rauchautomaten ausgestellt. Ein Computer hatte den Zigarettenrauch verschiedener Marken analysiert. In Abständen von einigen Sekunden saugte der Automat mit lautem Brummen den Rauch ein. Er rauchte ganz naturgetreu, bis auf das Geräusch. Ich fragte die Gruppe, ob der Automat schon süchtig sei, oder ob man ihm das Rauchen abgewöhnen könne. Sie meinten, man brauche nur den Stecker durchzuschneiden.
In der gleichen Reihe befand sich auch ein Team von Geologen, die das Absinken einer Stadt vermessen hatten, ein eifriger Wetterbeobachter, ein Mondfan, der Moonblinks untersuchte und ein Team von Physikern, das einen Meßwagen für Umweltschutz mitgebracht hatte.
In der dritten Reihe waren hauptsächlich Biologen vertreten. Sie untersuchten die Farbe von Fischen und Protozoen. Die Teilnehmerin, die am entferntesten von Bochum wohnte, kam aus Ibbenbüren und hatte untersucht, ob Papageien Mengen unterscheiden können. In der letzten Reihe schließlich waren noch einige Chemiker vertreten, die waschaktive Substanzen und die Herstellung von Bakelite untersucht hatten. Die einzige Biologin, die ihre Versuchstiere mitgebracht hatte, kam ausgerechnet aus Gelsenkirchen-Buer. Sie hatte die Sehfähigkeit von Mäusen untersuchen wollen. Leider waren ihre Versuchsergebnisse aber nicht so entzückend wie sie selbst und ihre beiden Mäuse. Die Mäuse hießen "B1" und "B2". Ich mußte zugeben, daß besonders "B2" ein außerordentlich hübscher Name war.
Unsere Chancen schienen recht gut zu sein. Da allein sieben Chemiker und zehn Biologen teilnahmen, mußte die Jury wahrscheinlich einzelne Sieger in jedem Fach bestimmen. Unsere gefährlichsten Konkurrenten waren wohl die Chemiker gleich neben uns, die sehr langwierige Versuche durchgeführt hatten und schon einmal an "Schüler experimentieren" teilgenommen hatten. Die "ungefährlichste" Arbeit aus dem Fach Chemie war eine Arbeit über Rauschgift, die im Grunde genommen nur das Ausstellen von Plakaten beinhaltete.
Als wir alle dachten, die Jury könnte allmählich mal anfangen, ihre Runde zu machen, wurde uns erklärt, daß viele Wettbewerbsteilnehmer ihre Arbeit nicht fristgemäß eingereicht hatten, und daß die Jury nun noch damit beschäftigt sei, diese Arbeiten durchzusehen. Es sei also unsere eigene Schuld, wenn wir lange warten müßten. Das sahen wir natürlich ein, aber Ulrich und ich, wir fühlten uns unschuldig, da wir den Einsendeschluß eingehalten hatten.
Nun begann also die Warterei. Wir versuchten, sie zu überbrücken, indem wir uns mit den anderen Teilnehmern unterhielten. Dabei stellte sich heraus, daß sie genausowenig Supermenschen waren, wie wir selbst. Unsere Nachbarchemiker versuchten ihre Nervosität durch Rauchen zu verdrängen, was ihnen aber trotz Kettenrauchens nicht gelang. Ich konnte sie ebensowenig von der Schädlichkeit des Rauchens überzeugen, wie die Chemiker, die Zigarettenrauch untersucht hatten oder die Physiker, die zeigten, daß Zigarettenrauch ihre Untersuchungsröhren stark braun färbte.
Zwischendurch konnten wir ein paar Schnitten essen und dazu verschiedene Fruchtsäfte trinken. (Junge Forscher sind gegen Alkohol, Koffein und Kohlensäure). Ich trank ständig Hohes C, und mein Hals revangierte sich dafür.
Schließlich tauchte die erste Abteilung der Jury auf, die sich aber zunächst nur mit den Physikern und Raumwissenschaftlern beschäftigte. Dabei stellte sich schon heraus, daß nicht alle Teilnehmer den einfachsten Fragen der Jury gewachsen waren, und es verbreitete sich eine allgemeine Nervosität. Wie ein Häufchen Elend saß Ulrich neben mir und murmelte immerzu: "Ach, wenn ich doch bald wieder in mein dahinvegetierendes Schülerdasein kommen würde." Ich versuchte, ihn mit ein paar Scherzen aufzuheitern, aber er bekam davon nur Kopfschmerzen.
Dann endlich kam auch die Jury für Biologie und Chemie, aber ihre Fragen waren fast noch gemeiner als die der anderen Jury. Wir konnten nur zusehen, wie unsere Kollegen ausgequetscht wurden, helfen konnten wir ihnen nicht.
Als diese Jury gerade erst mit ihrem Rundgang angefangen war (natürlich war sie an der anderen Seite angefangen, so daß wir zum Schluß drankamen), wurde die ganze Gesellschaft zum Essen gebeten, denn es war allerhöchste Zeit, da das Kantinenessen kalt wurde. Es gab dann auch ein Viertel Hähnchen, das gerade aus dem Eisschrank kam und offenbar noch nicht aufgetaut war. Dazu etwas Gemüse, Salat und Kartoffeln. Irgendsoein Idiot (ich glaube, das war ich) fing damit an, Witze zu erzählen, und bald konnte die ganze Gesellschaft vor Lachen nicht mehr essen. Die vielen Rückstände auf den Tellern zeigten, wie es uns geschmeckt hatte. Inzwischen waren auch Ulrichs Mutter und mein Vater gekommen. Mein Vater erzählte mir später, daß er einfach mit der Jury gegessen habe, und daß es Hühnerfrikassee und halbierte Pampelmusen gegeben habe.
Nach dem Essen begann die Besichtigung des Opelwerkes. Nur durften leider diejenigen nicht teilnehmen, die noch nicht von der Jury ausgefragt worden waren. Wir warteten also an unserem Stand, und niemand beachtete uns, bis auf eine Fotografin, die von uns unbedingt ein künstlerisch arrangiertes Foto machen wollte.
Die ganze Werksbesichtigung hindurch warteten wir bloß und tauschten mit der Nachbargruppe unsere Erfahrungen aus. Als dann endlich die Gesellschaft von der Besichtigung zurückkam, ließ sich auch die Jury wieder sehen und setzte ihren Rundgang fort. Alle Befragten stöhnten hinterher über die hinterlistige Jury.
Es kam uns vor wie ein Wunder, aber irgendwanneinmal kam dann die Jury auch zu uns. Zunächst einmal kam der Vortrupp, die physikalische Jury, die sich jetzt auch für die anderen Arbeiten interessierte. Ausgerechnet mich bat sie, kurz über unsere Versuche zu berichten. Ich war darauf natürlich nicht vorbereitet, aber es ging dann doch. Die Herren der Jury nickten nur immer zustimmend, dabei war aus ihren Gesichtern genau zu ersehen, daß sie kein Wort verstanden. Der nächste Trupp der Jury hatte dann leider tatsächlich Ahnung. Er bemängelte sogar, daß wir in unserer Arbeit geschrieben hatten, unser Transformator gebe eine Gleichspannung ab. Ulrich schlug sich wirklich ausgezeichnet, nur einmal mußte ich ihm helfen, weil er an einer Stelle selbst nicht verstanden hatte, was ich im Versuchsbericht geschrieben hatte. Jedenfalls gelang es der Jury trotz verzweifelter Bemühungen nicht, irgendeine Schwäche unserer Arbeit aufzudecken. Sie kapitulierte schließlich und ging weiter zum letzten Stand.
Nach ihrem Rundgang zog sich die Jury zur Beratung zurück, und für die Forscher hieß es noch einmal Warten. Wir stellten zum Beispiel fest, daß Hohes C den gleichen pH-Wert hat wie 10 %ige Essigsäure. Jetzt verstand ich auch, warum mein Hals so sauer reagierte. Ein Chemiker schlug vor, die Mäuse aus Gelsenkirchen zu nitrieren, aber die Tierfreunde waren dagegen. Zur Belohnung führte die Maus dann einen Lauf durch und der Stand wurde umlagert. Überall herrschte gelöste Stimmung. Kein Wunder, die Aufregung war ja vorerst vorbei.
Die Jury ließ sich Zeit. Es war wohl doch gar nicht so einfach, die Arbeiten gerecht zu beurteilen. Aber schließlich war auch das geschafft, und wir wurden gebeten, Platz zu nehmen. Nun waren wir doch wieder gespannt, und zwar auf unser Abschneiden. Ich versuchte, am Blick von Dr. Ermeling etwas über unsere Plazierung abzulesen, aber er schaute drein wie gewöhnlich. Wir waren überzeugt, daß unsere Nachbarn gewonnen hatten, ebenso überzeugt waren sie, daß wir gewonnen hatten. Schließlich sagte Ulrich scherzhaft: "Am Ende ist die Arbeit über Bakelite die beste."
Dann folgte eine Ansprache, die im wesentlichen darauf hinauslief, daß gerade das Opelwerk sich vorbildlich für die Jugend einsetzte, und daß dabeizusein für die jungen Forscher wichtiger sei als zu siegen. Nun folgte die Preisverteilung. Die Jury hatte es wohl tatsächlich schwer gehabt. Als erste Arbeit aus dem Fach Chemie wurde die über Bakelite ausgezeichnet. Wir dachten schon, es sei der erste Preis, und Ulrich meinte: "Ich habe es ja gleich gesagt: Bakelite." Doch nach und nach stellte sich heraus, daß jede Arbeit mit einer Urkunde ausgezeichnet wurde, und wir waren noch nicht dabei. Aber das konnte jetzt ja nur Gutes bedeuten. Und richtig - nun wurden die zweitbesten Arbeiten ausgezeichnet. Im Fach Chemie war es die Arbeit über Zigarettenrauch. Wir waren also Sieger im Fach Chemie. Als Preis bekamen wir jeder ein riesiges Buch über die Olympischen Spiele in München, ein paar Briefmarken, 50 Mark und einen Glückwunsch.
Wir konnten es kaum fassen. Ulrich scherzte noch: "Ich hab auch gar nichts anderes erwartet." Dr. Ermeling und die Eltern beglückwünschten uns zu unserem Erfolg. Für die 50 Mark mußten wir noch eine Quittung unterschreiben, und dann ging es auch schon ans Abbauen.
Beim Herausziehen der Heftzwecken aus dem Stahlbeton gingen unsere Finger endgültig zugrunde, aber das machte uns nun nichts mehr aus. Mit vereinten Kräften schafften wir die Ausrüstung auf den Parkplatz und verstauten diesmal alles in dem Wagen meines Vaters.
Die ganze Verwandtschaft war natürlich stolz auf mich und brachte dies durch entsprechende Geldzuwendungen zum Ausdruck. Unsere Arbeit stellten wir in einem Schaukasten in unserer Schule aus, wo sie allgemeines Interesse unter den Schülern fand. Ein Reporter der Buersche Zeitung machte eine Aufnahme von uns, die am nächsten Tag erschien. In der Bochumer Westfälischen Rundschau wurden wir auch erwähnt. Das Niveau dieses Wettbewerbs soll ungewohnt hoch gewesen sein, um so größer können wir unseren Erfolg werten.
Wie das so ist, gestern hatte Ulrich sich noch ein dahinvegetierendes Schülerdasein gewünscht, heute ist er wieder Feuer und Flamme für meine Idee, uns an dem großen Wettbewerb "Jugend forscht" zu beteiligen und Bundessieger zu werden. Vielleicht werden wir uns tatsächlich wieder beteiligen. Die ganze Arbeit und Mühe wird dadurch belohnt, daß das Dabeisein ein echtes Erlebnis ist, das man so schnell nicht wieder vergißt.