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GESTÄNDNISSE AUS ERSTER HAND
 
An der Haustür klopfte es leise.
Das war an und für sich nicht ungewöhnlich und es hätte mir auch keinen Schrecken eingejagt, wenn nicht die Zeit ein wenig ungewöhnlich gewesen wäre.
Ich faßte mir ein Herz - genauer gesagt: ich trank einen halben Liter Baldriansaft - und ging zur Tür, um zu öffnen.
Als ich etwa noch zwei Meter davon entfernt war, stellte ich fest, daß sich dort irgend jemand an meinem Schloß zu schaffen machte. Ich verstand das nicht, denn meines Wissens bedurfte es noch keiner Reparatur.
Plötzlich lief es mir lauwarm (nicht eiskalt, der Baldrian muß irgendeine Wirkung gezeigt haben) den Rücken herunter. Ich hatte blitzschnell in etwa einer Minute erwogen, daß es sich auch um einen Einbrecher handeln könnte.
"Um Gottes Willen, die Uhr!" fuhr es mir durch den Kopf und keine Sekunde zu früh hielt ich dem Kuckuck den Schnabel zu. Er versuchte dreizehnmal (Schweizer Präzision: es war genau 12 Uhr) zu rufen, doch sein Schrei klang in meiner Hand eher wie ein heiseres Röcheln. Als er schließlich in seinem Gehäuse verschwunden war, beobachtete ich ihn sicherheitshalber noch eine Minute (die bewährte Schweizer Präzision) und schlich mich dann leise zur Tür, nicht ohne mich vorher mit meiner Wasserpistole (Echt aussehendes Modell, Made in Japan, Marke FBI) zu bewaffnen.
Der Einbrecher war währenddessen schon ein gutes Stück vorangekommen, der Plastiksprengstoff schaute schon zum Schlüsselloch heraus. Das ging mir doch ein wenig zu weit. Mochte er seinen Spaß am Sprengstoff haben, aber nicht auf Kosten meiner Tür! Beherzt, aber nicht ohne den Rest der Flasche hinunterzuwürgen, öffnete ich die Tür und hielt ihm meine Pistole unter die Nase. Da stand er nun, zitternd, ein Häufchen Elend. Er war drauf und dran, zu weinen.
Ich versuchte, ihn zu trösten und bat ihn herein, um ihm auch etwas Baldrian zu geben.
Plötzlich sah ich meine Chance. Ich konnte einen Einbrecher direkt befragen über seine Motive, konnte alles über seinen schweren Beruf erfahren, gewissermaßen aus erster Hand von Mann zu Mann. Langsam ergriff ich meinen Stenoblock, um ihn nicht zu erschrecken, und dann entspann sich etwa folgender Dialog:
"Was würden Sie davon halten, wenn ich Sie nicht anzeigte?" "Und welchen Gegenwert verlangen Sie? Ich meine, Ihre Bedingungen?" Kluges Kerlchen, kommt gleich zur Sache, an dem ist ein Geschäftsmann verloren gegangen.
"Wenn ich Sie interviewen könnte! Wissen Sie, ich brauche nämlich noch Material über den Strafvollzug in Deutschland." "Einverstanden, Sie haben die Pistole, also fragen Sie!" Ich war mir natürlich darüber klar, daß es nicht die Pistole war, die ihn so beeindruckt hatte, sondern die Ausstrahlung meiner Persönlichkeit. Also begann ich mutig mit dem Interview. "Was waren denn so Ihre Motive, diesen Einbruch zu begehen? Hunger? Unglückliche Kindheit? Ein Ihnen widerfahrenes Unrecht?" "Nein, nichts von alledem !"
"So? Was denn?" "Nichts !"
"Was? Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß Sie ohne ein Motiv in mein Haus einbrechen wollten?!"
"Doch, genau das! Es hat mir nur unheimlichen Spaß gemacht, ich wußte ja nicht, daß Sie eine so miese Type sind und mir alles vermasseln. Wo ich mir solche Mühe gemacht habe! Und auch der Sprengstoff war nicht gerade billig. Schämen Sie sich eigentlich nicht?"
Ich dachte nach und kam zu dem Schluß, daß ich mich doch etwas schämte. Schließlich will ein Einbrecher auch nur leben. "Schließlich will ein Einbrecher auch nur leben!" gab er mir zu verstehen. Dabei lachte er herzlich: ein Mann von Format, der mit beiden Beinen im Leben steht und darüber hinaus auch ein Gentleman. "Sehen Sie", begann er, "Einbrecher ist heute ein Beruf wie jeder andere. Man muß sich halt durchbeißen; das Leben ist hart, Sie wissen es so gut wie ich. Und ist es etwa keine Mühe, sich allnächtlich auf den Weg zu machen, den Sprengstoff zu besorgen oder Nachschlüssel oder sonstiges Werkzeug, die ganze Nacht durchzuarbeiten für die paar Pfennige, die dabei herausspringen?
Der Staat tut viel zu wenig für seine Einbrecher, dabei tun wir so viel für ihn. Wir sorgen für gleichmäßige Aufteilung des Kapitals. Das Geld, um das der Staat von den lndustriebossen geprellt wird, stehlen wir wieder und der Staat bekommt es zurück, wenn wir geschnappt werden. Ohne uns wäre unsere Wirtschaft schon längst im Eimer! Dabei ist unser Job der härteste von allen. Keine Rente! Und dann glauben Sie, daß Sie mehr Anspruch auf Ihr Eigentum haben als ich? Daß ich nicht lache!"
Damit stand er auf und begann, langsam meine Wertsachen in seinen speziell dazu mitgebrachten zusammenklappbaren Plastiktaschen zu verstauen.
Nun kamen mir doch leise Bedenken und ich begann, an der guten Absicht dieses seriösen Herrn zu zweifeln.
Aber was sollte ich tun? Sagen: "Guter Mann, nehmen Sie es sich ruhig, Sie haben's nötiger als ich!" ?
Trotz meiner noblen Gesinnung brachte ich das nicht fertig. Und jetzt kam mir die ganze Gehässigkeit seines Wesens zu Bewußtsein. Wie er mich mit seinen gelben Zähnen angrinste! Und diese widerwärtige Fratze und sein scheinheiliges Getue! Nein, er konnte mich nicht bluffen! Ich hatte ihn durchschaut. Ich hatte ihn in der Hand.
"Legen Sie die Sachen dorthin, wo Sie sie hergenommen haben! Sie haben doch nicht etwa vergessen, daß ich die Pistole habe?" "Nein, nein, das habe ich nicht!" gab er mir zu verstehen während er seiner Tasche genießerisch einen ausgewachsenen Revolver entlockte.
Ich weiß nicht, was ich jetzt gesagt hätte, um ihn schachmatt zu setzen, ich erinnere mich nur noch, daß ich gar nichts mehr sagen konnte, weil meine Zähne zu laut klapperten. Ich gebe zu, daß das bei jedem gesunden Menschen passieren kann, jedenfalls erleichterte das meine Lage keineswegs. Ich biß die Zähne zusammen, was sie jedoch nicht daran hinderte, weiter im lauten Staccato zu klappern. Die Wirkung des Baldrians hatte anscheinend nicht angehalten. Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß und klapperte, schätzungsweise waren es drei Eiszeiten.
Plötzlich begann der Mann zu lachen - tatsächlich, er lachte laut und wollte gar nicht wieder aufhören.
"Guter Mann!" sagte er. "In Ihrer Wohnung hält sich seit 20 Minuten ein Einbrecher auf. Sie wissen das, und seit 20 Minuten haben Sie keinen Versuch unternommen, die Polizei zu verständigen. Das gibt leider 40 Minuspunkte, so daß Sie von unserer Anstalt nicht versichert werden. Wir müssen leider sichergehen. Es tut mir leid."
Ich wußte nicht mehr, was ich sagen sollte, ein Alpdruck war von mir gewichen, es war alles nur ein böser Traum gewesen, ich war erlöst. Ich begleitete den Versicherungsagenten zur Tür, schmetterte ihm ein fröhliches "Gute Nacht!" nach und trank erleichtert noch eine Flasche Baldrian. Das Zeug muß irgendwie schläfrig machen, denn ich begann, mit geschlossenen Augen zu sinnieren.
"Eine geschickte Versicherung, wirklich, sehr geschickt, geht kein Risiko ein; zu blöd, daß ich auf den Trick reingefallen bin, der direkt von mir hätte stammen können. Und dieser sympathische Agent mit seinem gewinnenden Lächeln, was der auf sich genommen hat, mitten in der Nacht, nur um eine Versicherung... Um Himmels Willen, ich bin ja schon versichert! Dieser gemeine Schurke, mir so einen Schreck..." Erst jetzt fielen mir die Plastiktaschen ein. Er hatte sie samt meiner Wertsachen in aller Ruhe mitgenommen.